Eich, Günter: Augenblick im Juni
Augenblick im Juni (German)Wenn das Fenster geöffnet ist, Vergänglichkeit mit dem Winde hereinweht, mit letzten Blütenblättern der roten Kastanie und dem Walzer „Faszination“ von neunzehnhundertundvier, wenn das Fenster geöffnet ist und den Blick freigibt auf Flußhafen und Stapelholz, das immer bewegte Blattgewirk der Akazie, - wie ein Todesurteil ist der Gedanke an dich, Wer wird deine Brust küssen Und deine geflüsterten Worte kennen?
Wenn das Fenster geöffnet ist Und das Grauen der Erde hereinweht - Das Kind mit zwei Köpfen, - während der eine schläft, schreit der andere - es schreit über die Welt hin und erfüllt die Ohren meiner Liebe mit Entsetzen, (Man sagt, die Mißgeburten nähmen seit Hiroshima zu.)
Wenn das Fenster geöffnet ist, gedenke ich derer, die sich liebten im Jahre neunzehnhundertundvier und der Menschen des Jahres dreitausend, zahnlos, haarlos.
Wem gibst du den zerrinnenden Blick, der einst mein war? Unser Leben, es fähret schnell dahin als flögen wir davon und in den Abgründen wohnt verborgen das Glück.
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