This website is using cookies

We use cookies to ensure that we give you the best experience on our website. If you continue without changing your settings, we'll assume that you are happy to receive all cookies on this website. 

Grünbein, Durs: Berlin posthum

Portre of Grünbein, Durs

Berlin posthum (German)

Du kannst ja nach Berlin fahren. Da bist du schon einmal gewesen.
Kierkegaard, Die Wiederholung
 
Dezemberrnorgen. Im Taxi, an Friedhofsmauern vorüberfahrend.
Überrascht dich dein Neid. 'Die haben's geschafft.'
In den Augen, vom Licht aufgestemmt, reibt es wie nasser Sand.
Der Fahrer nestelt am Rosenkranz. Du siehst nur die Bahren
In den Schaufenstern, Trödel, hinter gelben Gardinen, gerafft.
Dann beginnst du zu zählen. Die Finger an jeder Hand
Reichen nicht aus - so viele Bestattungsfirmen gibt es entlang
Der Strecke von der Haustür zum Bahnhof. Schamlos ihr Werben,
Schwan auf weiß, um die Toten von morgen, in harten Sätzen.
Alles ist rechtwinklig hier. Kreuze und Gitter brechen den Drang.
Als Samurai, ein Schwert in der Magengrube, zu sterben.
Die Bäcker haben den Brotteig verrührt. Die Metzger wetzen
Die Klingen vor Arbeitsbeginn. Obst glänzt in Stiegen, sortiert.
Das Taxameter. in Zwanzigerschritten, springt mit dem Geld um.
Das sich unendlich langsam verdient, mit elegischen Zeilen.
Fröstelnd das Hirn, exklusiv vom Zynismus der Zeit penetriert,
Reagiert mit Schläfrigkeit. Der Fahrgast erwidert stumm
Im Rückspiegel den Blick des Chauffeurs. Er muß sich beeilen,
Wenn er den Zug nicht verpassen will. Im Autoradio raunt
Eine sachliche Stimme die Weltnachrichten um sechs Uhr drei.
Irgendwo steigt jetzt ein Börsencoup, irgendwo platzt ein Scheck.
'Schon mal vorausgedacht?' pöbelt in Fettschrift ein Sarg Discount.
Am Straßenrand blitzt ein Leben auf, einzeln und - schon vorbei.
'Lange trauern hat keinen Zweck. Wir schaffen die Leiche weg.'



Uploaded byP. T.
Source of the quotationhttps://books.google.hu/books

minimap